TAG 13

Nachdem ich meiner Co-Therapeutin glaubhaft und wahrheitsgemäß versichern konnte, dass ich heute ein Problem damit habe, in einem Raum mit 20 Menschen meine Muskeln progressiv nach Jacobsen zu relaxieren, habe ich frei gemacht und meinen ersten Besuch empfangen. Meine Freundin Ch. hat auf dem Weg von München über Berlin an die Ostsee in W. Zwischenstopp gemacht und wir haben einen Kaffee getrunken. Ich erklärte ihr, dass die Therapie für mich gut läuft, auch wenn es mir außerhalb der Veranstaltungen manchmal so vorkommt, als sein ich in einer vollbesetzten Aldi-Filiale (Nord) eingesperrt.
Der Streit mit F. ist bereinigt, auf M. bin ich nach wie vor sauer.

Morgen lasse ich mir bei der Anstaltsfriseuse die Wimpern färben. Ich bin abenteuerlustig. Aber nicht abenteuerlustig genug für blonde Strähnen.

Dumme Sprüche, die ich 15 Jahre oder länger nicht gehört habe, bis ich nach W. kam:
(Auf hochdeutsch wiedergegeben.)
„Du, ich hab Nadel und Faden dabei – soll ich das Loch in Deiner Jeans stopfen?“
„Du, Deine Schuhe quietschen so. Die hast Du wohl noch nicht bezahlt, watt?“

Weil rausgekommen ist, dass „Nur nicht aus Liebe weinen?“ von mir verfasst worden ist, interessiert sich nun auch F., der zweite Homo hier, für mich. Bislang waren wir uns aus dem Weg gegangen. Bei circa 180 Leuten halten sich hier momentan (meines bisherigen Wissens) 3 schwule Patienten auf. Unterdurchschnittlich, geht man doch von einem schwulen Bevölkerungsanteil von 10% aus.
T., die ich erst für eine Lesbe hielt (kurze rote Haare, Trainingshose, sog. „kesse“ Brille, Badmintonschläger und verschließbare Kaffeetasse), entpuppte sich als „Mutti“. T. bringt Spaß in die Bude, hat oft das letzte Wort, und weil das meistens gut ist, gönne ich es ihr. Wir haben Lieblingswörter, die wir uns bemühen, in jeder Unterhaltung unterzubringen. Manchmal müssten wir uns bemühen, nicht zu sehr unter die Gürtellinie zu gehen, tun es dann aber doch nicht. Unser derzeitiger Wort-Favorit ist nach wie vor „wirkmächtig“. Der alkoholfreie Sekt, den wir gerade zu F.s Abschied getrunken haben, ist geschmacksfrei, etwas seifig im Abgang und auch sonst nicht sehr wirkmächtig.
Heute ein Neuzugang und morgen noch mal sechs Frauen für Team 2. Hoffentlich noch ein paar Leute, die die Fähigkeit besitzen, ihr Leid mit lautem Lachen verlauten zu lassen. Heute z.B. haben wir uns über das „restless leg-Syndrom“ nicht mehr eingekriegt. Manche Angstpatienten können nicht einschlafen, weil ihre Beine zucken. Wenn man Gesichter auf die Knie malt und eine Kamera draufhält könnte man es den Dritten als Kindersendung verkaufen. Oder als Musikvideo: Guilty feet have got no rhythm. Ganz zu schweigen davon, was RTL2 oder, noch besser, Arte mit einem so potenten Format berwerkstelligen könnte. Nicht lachen – ich erinnere mich an einen hochdotierten Kurzfilm namens „23 Barbiepuppen kippen um“ in dem nichts anderes geschieht als der Titel verspricht.

Habe ich schon erwähnt, das es im örtlichen KIK-Textildiskonter eine „Parfum“-Abteilung gibt, in der nicht nur der Herrenduft „Gattaca“, sondern auch das Duftwasser „Pretty Stalking“ angeboten wird? Wirklich wahr.

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42 DAYS

Sozialphobie ist die dritthäufigste psychische Störung nach Depression und Alkoholismus. Unser Protagonist leidet seit vielen Jahren an dieser Erkrankung. Nachdem ihn die Phobie beruflich und in viererlei Hinsicht auch privat ins Aus katapultiert hat, beschließt er, sich in Behandlung zu begeben. Und weil er es sich nicht leicht machen will und an radikale Methoden glaubt, begibt er sich für eine sechswöchige REHA-Maßnahme in eine Fachklinik für psychosomatische Erkrankungen. An eines hat er jedoch nicht gedacht: dass die Kliniksituation an sich, die ständige Konfrontation mit Patienten und Pflegepersonal, zunächst einmal Futter für seine Ängste sein wird. Anstatt sich in der Klinik aufgehoben zu fühlen, schlägt er dort zunächst ziemlich hart auf.

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